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Einleitung

Audiovisuelle Medien, also Film und Video in ihren unterschiedlichsten Ausprägungen, nehmen einen immer breiteren Raum in den Gedächtnisorganisationen ein. Dies betrifft nicht nur ihre Bedeutung, da die audiovisuellen Quellen zunehmend zum Kernbestand des kulturellen Erbes gezählt werden, sondern auch die bloße Menge an Daten, die mit ihrer Archivierung verbunden sind. Ein digitaler Film, der ohne Qualitätsverlust gespeichert wird, benötigt schnell mehrere Terabyte an Speicherplatz. Damit aber stoßen die Gedächtnisorganisationen schnell in Dimensionen von Rechenzentren vor und nicht selten sind diese auch die bessere Alternative zur hausinternen Archivierung. Doch die Speichermenge allein ist noch nicht einmal das zentrale Problem bei der Archivierung audiovisueller Medien. Wie beim Film selbst tritt auch bei den Archivierungsbemühungen der Doppelcharakter des Films – einerseits Kunstform, andererseits Industrieprodukt – in seiner ganzen Ambivalenz zutage.

Die Notwendigkeit bei einer Archivierung, Prozesse und Workflows vom Ende her zu den-ken und auf den gesamten Lebenszyklus des audiovisuellen Objekts zu beziehen, ist beiaudiovisuellen Objekten ungleich schwerer umzusetzen als bei anderen Medien wie Tex-ten oder Fotos. Die Standards vom Beginn einer audiovisuellen Produktion bis zur Auffüh-rung sind seitens der AV-Industrie definiert und in hohem Maße proprietär. Hinzukamenmit der Umstellung auf die digitale Produktion die der Computertechnik eigenen schnellenProduktzyklen: Codecs und Formate des audiovisuellen Bereichs haben eine Halbwerts-zeit, die deutlich unter denen benachbarter Disziplinen liegt.Die Arbeit der AG Media ist von diesen Problemen geprägt. Die Notwendigkeit, sich denFragen der Archivierung audiovisueller Produktionen zu stellen, war umgekehrt komple-mentär zu den Handlungsoptionen. Nach ihrer Gründung im Jahre 2006 befasste sich dieAG auch mit der Frage der Archivierung von Computerspielen. Doch schnell war klar, dassbeide Medien zwar ähnlich komplexe Fragestellungen aufwerfen, doch völlig unterschied-liche Antworten erforderten. Lösungsstrategien zur Archivierung von Computerspielensetzen etwa einen sehr viel stärkeren Fokus auf Emulation als dies bei den klassischenaudiovisuellen Medien der Fall ist. Daher machte die Gründung einer AG ComputerspieleSinn.Doch die Ratlosigkeit der AG blieb. Die Probleme der Speichermenge schienen lösbar, wennauch nur im Rahmen von hochprofessionellen Lösungen. Die Frage des Codecs, insbeson-dere die Suche nach einem verlustfreien Codec, wurde lange mit dem seitens der DigitalCinema Initiative (DCI) favorisierten Codec M-JPEG2000 beantwortet. Doch der Codec warbei vielen Archiven unbeliebt, da er schwer zu handhaben und lizenzbehaftet war. Hinzukamen negative Erfahrungen im Archivbereich, die eine starke Zurückhaltung forcierten.Auch OAIS-konforme Archivierungslösungen existierten lange Zeit nicht oder waren prak-tisch kaum zu finanzieren.Vor diesem schwierigen Hintergrund suchte die AG Media auch den Kontakt zu den füh-renden Industrievertretern der Branche. Ziel war die Ausarbeitung eines Konzeptes, dasArchivierungsbedürfnisse schon beim „Filmen“ über die Postproduktion bis hin zur Auf-führung verankerte. Die Gespräche kamen allerdings zu keinem erfolgreichen Abschluss.Kritisch bleibt festzuhalten, dass eine echte Lobby seitens der Archive im Bereich der di-gitalen Langzeitarchivierung de facto nicht existierte. Allerdings soll dies nicht der letzteAnlauf gewesen sein.Letztlich ist zu konstatieren, dass wichtige Entwicklungen wohl auch ihre Zeit brauchen.6  EinleitungWichtige Arbeiten steuerten die FFmpeg-Gruppe und die Österreichische Mediathek mitder Entwicklung des Codecs FFV1 bei. Für die eigentliche Archivierung stehen auch ersteOpen-Source-Lösungen zur Verfügung und der Aufbau großer Speicher- und Archivie-rungslösungen ist zwar nicht einfacher, doch deutlich kostengünstiger geworden.Daher ist dies nun ein guter Zeitpunkt, eine Bilanz zu ziehen und unsere Arbeit und un-sere Empfehlungen vorzustellen. Ziel war zunächst, den aktuellen Stand der Diskussion zupräsentieren. Dies betrifft nahezu alle relevanten Bereiche. Allerdings haben wir daraufverzichtet, die Problematik großer Storage- und Archivierungslösungen hier vorzustellen.Einerseits ist dies ein Querschnittsthema, das grundsätzlich für alle Bereiche der Archivie-rung unabhängig vom Medientyp relevant ist, andererseits adressieren diese Fragen eineohnehin schon hoch spezialisierte Gruppe. Festzuhalten bleibt allerdings, dass audiovi-suelle Archive die Problematik von Bitfehlern adressieren müssen, da diese bei digitalemFilm mit einer relativ hohen Wahrscheinlichkeit auftreten werden.Erstmals hat sich die AG Media entschlossen, für die Empfehlungen einen grundsätzlichanderen, nämlich zielgruppenorientierten Ansatz zu wählen. Hintergrund ist die Einsicht,dass ideale Lösungen für viele Einrichtungen nicht umsetzbar sind. Dies gilt noch stärkerfür Privatpersonen. Dies bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass die zielgruppenspezifi-schen Lösungen nun hinreichend sind. Im Gegenteil: Die Aufteilung in unterschiedlicheNutzergruppen soll deutlich machen, wo sich unterschiedliche Archivierungsszenarienpositionieren, und eher das Interesse wecken, eine professionellere Variante zu wählen.Verbunden mit dieser Aufteilung sind textliche Redundanzen, die wir aber der besserenLesbarkeit der einzelnen Abschnitte wegen in Kauf nehmen. Außen vor bleibt in diesemText auch die Frage, ob Archivierung als Service, also die Inanspruchnahme von professio-nellen Dienstleistern, eine sinnvolle Alternative darstellt. Dies muss jede Institution, aberauch jeder Privatanwender für sich entscheiden. Zumindest lassen sich aus unseren Emp-fehlungen auch Kriterien für eine Entscheidung ableiten.Wohl wissend, dass das Archivierungsparadigma „Vom Ende her denken!" weitaus umfas-sender ist, haben wir trotzdem einen Abschnitt zur Digitalisierung ergänzt. An keiner ande-ren Schnittstelle als an dem Übergang von analog zu digital sind die Folgen von Fehl- odernicht getroffenen Entscheidungen derart gravierend wie hier.Schließlich haben wir die allgemeine Fragestellung „Archivierung audiovisueller Medien"aufgelöst zugunsten konkreter Anwendungsszenarien: Wissenschaftlicher Film, Fernseh-aufzeichnung, Amateurfilm und professioneller Film. Die Übergänge sind sicherlich flie-ßend und manch einer mag fragen, ob dies gerechtfertigt ist. Zumindest die Anwendererhalten so allerdings genauere Beschreibungen, welche die besondere Situation reflek-tieren.Erschließungsstandards und persistente Identifikatoren werden im audiovisuellen Be-reich noch relativ selten verwendet. Als zentrale Metadatenelemente besitzen sie abereine große Bedeutung für die Langzeitarchivierung. Daher haben wir den aktuellen Standkurz zusammen getragen. Beide Bereiche sind in ihrer fachspezifischen Ausarbeitung au-ßerhalb der „Community" nur wenig bekannt und sollten daher zumindest kurz benanntwerden. Eine breitere Nutzung ist sicher sinnvoll.Noch ein Wort zu den Begrifflichkeiten. Die Bezeichnung „Film“ wird umgangssprachlichauch für digitale Medien verwendet. Der Materialcharakter, der damit ursprünglich be-schrieben wurde, ist fast völlig verschwunden: „Wir gehen ins Kino und sehen dort einenFilm“ ist sprachlicher Alltag, obgleich inhaltlich falsch. Mit dem Aufkommen der digitalenMedien bekommt „Film“ eine Doppelbedeutung, der wir auch in diesem Text Rechnungtragen. Daher verwenden wir weiterhin den Begriff „Film“ als Metapher für audiovisuelleMedien. Wo diese Begrifflichkeit zu Missverständnissen führen könnte, haben wir die kor-rekten, wenngleich etwas sperrigeren Begriffe benutzt.  7nestor AG – Leitfaden für die digitale Langzeitarchivierung audiovisueller MedienDieser Text ist selbst historisch und wird in einigen Jahren veraltet sein. Wir haben unsdeshalb auch mit der Frage beschäftigt, wie wir eine Aktualisierung leisten können und füreine Hybridpublikation entschlossen. Einige Punkte des Textes sind nur online verfügbar(z.B. die Übersicht über Dateiformate, Codecs und Formate). Der Grund sind die kontinu-ierlichen Weiterentwicklungen in diesem Bereich. Ähnliches gilt auch für andere Bereiche.Alle im Text referenzierten Inhalte finden Sie auf der Homepage der nestor AG Media: AG Media Ein immer wiederkehrendes Thema in der nestor AG Media waren auch die unterschiedli-chen Adressaten dieses Leitfadens. Diese definieren sich nicht nur über unterschiedlicheInteressen, sondern auch über unterschiedliche Ressourcen, die ihnen zur Verfügung ste-hen. Einem Privatanwender steht nun mal kein Rechenzentrum zur Verfügung und trotz-dem möchte er Vorsorge treffen. Daher haben wir diesen Leitfaden grob an die vier Inter-essengruppen adressiert:

  • Privatanwender
  • kleinere Einrichtung
  • mittlere Einrichtung
  • größere Einrichtung

Dabei wird angenommen, dass der Privatanwender mit einfachsten, erschwinglichen tech-nischen Möglichkeiten auskommen muss und kaum über personelle Ressourcen verfügt.Eine kleine Einrichtung kann inhouse auf IT-Support zurückgreifen, die personellen undfinanziellen Ressourcen sind aber eher knapp bemessen. Unter einer mittleren Einrichtungwird im Folgenden verstanden, dass sie zwar auf geringe personelle Ressourcen zurück-greifen kann, aber die IT-Unterstützung gut ist und finanzielle Mittel für die Langzeitarchi-vierung eingeplant sind.Eine größere Einrichtung kann aufgrund der gewidmeten personellen und finanziellen Res-sourcen die digitale Langzeitarchivierung professionell und nach dem aktuellen State ofthe Art betreiben.Die folgenden Kapitel behandeln zunächst globale Fragestellungen, die im Kontext der di-gitalen Langzeitarchivierung von AV-Material relevant sind. Hierzu zählen die Digitalisie-rung, das oft vergessene Farbmanagement, die Erschließung und Katalogisierung sowierechtliche Fragen und persistente Identifikatoren.Im Anschluss hieran werden bestimmte Szenarien (Wissenschaftlicher Film, Fernsehmitt-schnitte etc.) für die unterschiedlichen Adressaten erörtert. Schließlich verweisen wir aufTabellen mit technischen Spezifikationen und erörtern wichtige Grundbegriffe in einemGlossar.

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